Bundesgerichtshof Entscheidungen

Minderung der Bruttomiete bei Mietmangel im Gewerberaum - XII ZR 225/03 -


Der unter anderem für das Gewerbemietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat im April 2005 entschieden, dass Mietminderungen nach § 536 BGB anhand der Bruttomiete (Mietzins einschließlich aller Nebenkosten) zu bemessen sind. Unerheblich ist dabei, ob die Nebenkosten als Pauschale oder Vorauszahlung geschuldet werden.


In dem vom BGH entschiedenen Fall vermietete die Klägerin (Vermieterin) an den Beklagten (Mieter) Geschäftsräume für eine monatliche Miete von 950,88 DM zuzüglich 199,12 DM Betriebskostenvorauszahlung.

Der Mieter hat sich auf Mängel der Mietsache berufen und die Mietzahlungen reduziert. Neben der Frage der Angemessenheit der vorgenommenen Mietminderungen stritten die Parteien in dem Rechtsstreit insbesondere über die Frage, ob die Mietminderungen anhand der Nettomiete (Miete ohne Nebenkosten) oder aber anhand der Bruttomiete unter Einschluss aller Nebenkosten zu bemessen sind.


Das von dem Vermieter (Kläger) angerufene Berufungsgericht hatte die an der Bruttomiete (Miete einschließlich aller Nebenkosten) orientierte Mietminderung des Mieters bestätigt. Hiergegen wendete der Vermieter sich u.a. mit seiner Revision.


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In der sehr ausführlich begründeten Entscheidung des BGH heißt es zu dieser Fragestellung:

„Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe bei der Berechnung der Minderung nicht die Bruttomiete zugrunde legen dürfen.

a) Von welchem Betrag bei der Errechnung der Minderung auszugehen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (Nachweise bei Schmidt-Futterer/ Eisenschmid Mietrecht 8. Aufl. § 536 Rdn. 324-327; Staudinger/Emmerich BGB (2003) § 536 Rdn. 55).


Nach Auffassung des Berufungsgerichts (ebenso OLG Düsseldorf WuM 1994, 324; OLG Hamm OLGR 1996, 76 f.; OLG Frankfurt WuM 1986, 19; Schmidt-Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 324; Sternel WuM 2002, 244) errechnet sich die Mietminderung aus der Bruttomiete (Mietzins einschließlich aller Nebenkosten).

Eine andere Auffassung vertritt die Ansicht, daß die Mietminderung allein aus der Nettomiete (Mietzins ohne Nebenkosten) zu berechnen sei (OLG Koblenz ZMR 2002, 744).

Eine dritte Auffassung meint, daß die Bruttokaltmiete (Mietzins mit allen Nebenkosten außer Heizkosten) maßgebend für die Berechnung der Mietminderung sei (KG 8. Zivilsenat GE 2002, 930).

Weiter wird die Auffassung vertreten, daß die Nebenkosten bei der Minderung nur erfaßt werden, wenn die jeweilige Nebenleistung durch den Mangel beeinträchtigt werde (OLG Düsseldorf WuM 1994, 324).

Emmerich (Miete 8. Aufl. § 536 Rdn. 32 a.E.) geht davon aus, daß das Gericht im Rahmen seines Schätzungsermessens (§ 287 ZPO) gleichermaßen von der Brutto- wie von der Nettomiete ausgehen könne, wenn ihm dies angemessen erscheine.


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Einigkeit besteht lediglich, daß dann, wenn Mieter und Vermieter eine Inklusivmiete, also eine Bruttomiete, vereinbaren, die im Mietpreis kalkulatorisch enthaltenen Betriebskosten mit zur Miete zählen (Schmidt Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 329).

b) Nach § 536 BGB wird der Mieter, wenn ein Mangel die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, von der Entrichtung der Miete befreit, bei bloßer Minderung der Tauglichkeit hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten.

Ausgangspunkt für die Berechnung der Minderung ist somit die vom Mieter zu zahlende Miete. Was darunter zu verstehen ist, sagt das Gesetz nicht.


Schon nach früherem Recht war die Frage umstritten (vgl. Staudinger/Emmerich aaO). Das Mietrechtsreformgesetz hat diese Unsicherheit nicht beseitigt. Im Regierungsentwurf (BT-Drucks. 14/4553, S. 19) hatte es in § 556 Abs. 1 BGB noch geheißen: "Die Miete umfaßt die Grundmiete und den Betrag für Betriebskosten im Sinne des § 27 II.BV".

Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hatte jedoch Bedenken, daß eine Legaldefinition Streitfragen, die für die Minderung bestehen, zwar klären könnte, in anderen Bereichen aber neue Streitfragen aufwerfen würde. Er gab § 556 Abs. 1 BGB die jetzt Gesetz gewordene Fassung (Nachweise bei Haas Das neue Mietrecht - Mietrechtsreformgesetz S. 156).

Danach läßt das Gesetz - wie bisher - alle Interpretationsmöglichkeiten zu (Sternel aaO, 246). Die Vielzahl vertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten einerseits und die Fülle unterschiedlicher Minderungsfälle andererseits machen es schwer, einen einheitlichen Maßstab zu finden.


Für jede Auffassung lassen sich Fälle finden, die die Vorzüge der jeweiligen Variante herausstellen, aber auch solche, die ihre Schwächen deutlich machen.

Der Senat schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichts an. Für sie sprechen systematische, teleologische und nicht zuletzt rechtspraktische Gesichtspunkte.


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aa) Der Gesetzgeber hat in § 556 BGB klargestellt, daß Betriebskosten vereinbart werden können. Da § 556 BGB zum Unterkapitel "Vereinbarungen über die Miete" gehört, sind Betriebskosten jedenfalls nach der Systematik des Gesetzes als Bestandteil der Miete anzusehen (Schmidt-Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 329).


bb) Die Minderung ist Ausdruck des das Schuldrecht prägenden Äquivalenzprinzips.

Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daß durch die Mietminderung das von den Vertragsparteien festgelegte Äquivalenzverhältnis zwischen den Leistungen des Vermieters - der Bereitstellung einer im Vertragssinne nutzbaren Mietsache - und der Leistung des Mieters - der Mietzahlung - bei einer Störung auf der Vermieterseite wieder hergestellt werden. Für eine reduzierte Vermieterleistung soll der Mieter auch nur reduziert leisten müssen.


Die Leistung des Vermieters besteht in der Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache. Das umfaßt alles, was erforderlich ist, um die vertragsgemäße Nutzung sicherzustellen. Neben der bloßen Überlassung der Mietsache gehören dazu Nebenleistungen, ohne deren Erfüllung ein vertragsgemäßer Gebrauch nicht denkbar ist.

Dazu zählen mangels abweichender Vereinbarung unter anderem auch die Versorgung mit Energie, Wasser und Heizung sowie die Entsorgung etwa von Müll.

Die Vermieterleistung läßt sich nicht in eine Fülle von isolierten Einzelleistungen zerlegen, die gleichsam um die Raumüberlassung (Überlassung der Mietsache) herumgruppiert sind. Vielmehr sind sie mit dieser unlösbar vernetzt; es handelt sich um eine komplexe Leistung (Sternel aaO 246).


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Die vom Mieter zu erbringenden Leistungsentgelte (Grundmiete und Nebenkosten) sind die Gegenleistung für die vom Vermieter geschuldete Gesamtleistung.

Der Mieter zahlt nicht etwa isoliert jede Nebenleistung, sondern ein Gesamtentgelt. Daran ändert entgegen der Auffassung der Revision der Umstand nichts, daß die Höhe der Mietnebenkosten in der Regel, zumindest wenn die Nebenkosten abgerechnet werden müssen, nicht durch Parteivereinbarung, sondern einseitig durch Dritte und bei den verbrauchsabhängigen Leistungen durch den Verbrauch seitens des Mieter festgelegt werden.

Auch wenn der Vermieter die Höhe der Nebenleistungen nur beschränkt beeinflussen kann, so hat er sich doch zur uneingeschränkten Erbringung der Nebenleistungen verpflichtet.


Dementsprechend besteht auch die Gegenleistung des Mieters in einer einheitlichen Leistung, unabhängig davon, wie die Nebenkosten im einzelnen gemäß der vertraglichen Vereinbarung zu bezahlen sind. Daraus ergibt sich, daß ein Mangel der Haupt- oder einer Nebenleistung stets ein Mangel der geschuldeten Gesamtleistung ist mit der Folge, daß die dafür geschuldete gesamte Gegenleistung (Bruttomiete) gemindert werden muß, um die Äquivalenz wieder herzustellen.


cc) Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daß ein Ansatz der Nettomiete zu Wertungswidersprüchen führen könnte.

Nach der gesetzlichen Regelung des § 536 BGB ist der Mieter von der Entrichtung der Miete vollständig befreit, solange die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch infolge eines Mangels aufgehoben ist.

Daß der Mieter in diesem Falle keine Nebenkosten vorauszahlen muß, darüber besteht Einigkeit (Sternel aaO 246; Staudinger/Emmerich aaO Rdn. 54); es wäre kaum nachvollziehbar, müßte der Mieter, obwohl er die Mietsache nicht nutzen kann, weiterhin die Nebenkosten vorauszahlen.


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Besteht aber bei 100-prozentiger Nutzungsbeeinträchtigung überhaupt keine Verpflichtung zur Zahlung von Nebenkosten, so wäre es nicht verständlich, bei geringerer, nicht vollständiger Nutzungsbeeinträchtigung die Nebenkosten nicht entsprechend herabzusetzen.

Nach der gesetzlichen Regelung wird der Mieter nämlich von der Entrichtung der "Miete" befreit, bei Minderung der Tauglichkeit soll die "Miete" lediglich herabgesetzt werden (§ 536 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Es ist schon kein ausreichender Grund ersichtlich, in zwei aufeinanderfolgenden, inhaltlich dasselbe Problem regelnden Sätzen - wobei es sich nur um einen graduellen Unterschied handelt - den Begriff Miete einmal als Bruttomiete und im anderen Fall als Nettomiete anzusehen.

Erst recht ist davon Abstand zu nehmen, wenn dies zu schwerlich nachvollziehbaren Wertungswidersprüchen führen würde.


dd) Schließlich ließe sich bei Zugrundelegung der Nettomiete ein einheitlicher Maßstab für alle Formen der Nebenkostenzahlung (Inklusivmiete, Grundmiete mit Nebenkostenpauschale, Grundmiete und abrechenbare Nebenkostenvorauszahlung) nur schwer erreichen, so daß die Höhe der Minderung letztlich von der vereinbarten Mietstruktur abhinge.

Es besteht nämlich Einigkeit, daß bei Vereinbarung einer Inklusivmiete (Bruttomiete) der Ansatz der Nettomiete kein geeigneter Maßstab für die Minderung ist (Schmidt-Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 329), weil die nicht gesondert ausgewiesenen Nebenkosten nur mit Schwierigkeiten festgestellt werden können und deshalb von der Bruttomiete ausgegangen werden muß.


Würde bei Vereinbarung einer Nettomiete in Verbindung mit einer (nicht abzurechnenden) Pauschale entgegen der hier vertretenen Auffassung von der Nettomiete ausgegangen, so hätte es der Vermieter in der Hand, durch Vereinbarung einer niedrigeren Grundmiete und einer hohen Nebenkostenpauschale die Minderung zum Nachteil des Mieters zu beeinflussen.

Dies wollte der Gesetzgeber aber - zumindest für den Bereich des Wohnraummietrechts - gerade ausschließen (vgl. § 536 Abs. 4 BGB).


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ee) Aus den unter aa) bis dd) genannten Erwägungen verbietet sich auch die - vermittelnde - Lösung, von der Nettomiete auszugehen und die Nebenkosten nur dann herabzusetzen, wenn der Mangel einen Bereich der Vermieterleistung betrifft, für den die Nebenkosten zu leisten sind.

Darüber hinaus weist das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, daß diese Lösung wenig praktikabel ist, weil sie den Mieter mit einem erheblichen Darlegungs- und Berechnungsaufwand belaste.


Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Minderung automatisch eintritt, müßte der Mieter nämlich diejenigen Anknüpfungstatsachen darlegen, die Grundlage für die Ermittlung der Minderungsquote sind.

Er hätte im einzelnen vorzutragen, welche Nebenleistung vom jeweiligen Mangel betroffen ist und welcher Teilbetrag aus dem Gesamtbetrag der Nebenkosten auf die vom Mangel betroffene Nebenleistung entfällt.

Das wäre mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, falls die Nebenkosten im Mietvertrag nicht aufgeschlüsselt sind. Liegen mehrere Mängel vor, die unterschiedliche Nebenleistungen betreffen, würde sich der erforderliche Aufwand noch erhöhen. Im Anschluß daran wäre die Gesamtminderung zu errechnen.


Bei in diesem Bereich nicht selten streitigem Vortrag müßte Beweis erhoben werden. Auch unter Berücksichtigung von § 287 ZPO würde das zu erheblichen Belastungen der Tatgerichte führen. Demgegenüber sollte die Mietrechtsreform das Streitpotential verringern und auch einen Beitrag zur Entlastung der Gerichte leisten (BT-Drucks. 14/4553 S. 34).


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ff) Aus den zuletzt genannten Gründen ist auch der Auffassung von Emmerich (aaO § 538 Rdn. 32), dem Tatrichter jeweils die Entscheidung zu überlassen, welchen Maßstab er anwenden will, nicht zu folgen.

Zwar könnte der Tatrichter durch Auswahl der ihm am geeignetsten erscheinenden Methode im Einzelfall zu einer angemessen Herabsetzung kommen.

Die Parteien müßten aber ihren Vortrag an der vom Gericht jeweils ins Auge gefaßten Methode ausrichten.

Die heute bestehende Rechtszersplitterung, die sogar innerhalb einzelner Gerichte besteht (vgl. Anmerkung Schach GE 2002, 500 m.w.N.), würde dadurch noch weiter vergrößert."


BGH, Urteil vom 6.4.2005

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