Bundesgerichtshof Entscheidungen

Kündigung wegen bei Abschluss des Mietvertrages nicht absehbaren Eigenbedarfs ist nicht rechtsmissbräuchlich - VIII ZR 233/12 -


Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich in einer Entscheidung vom März 2013 mit der Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Wohnungsvermieter wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gehindert sein kann, das Mietverhältnis gemäß § 573 Absatz 1, 2 Nr. 2 BGB* wegen Eigenbedarfs zu kündigen.


Die Beklagten sind seit Februar 2008 Mieter eines Einfamilienhauses der Klägerin (Vermieterin) in Wolfenbüttel. Mit Schreiben vom 29. März 2011 kündigte die Klägerin (Vermieterin) das Mietverhältnis zum 30. Juni 2011 mit der Begründung, das Haus werde für ihren Enkel und dessen Familie benötigt.


Das Amtsgericht hat den Eigenbedarf als bewiesen erachtet und der Räumungsklage stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten (Mieter) zurückgewiesen. Es hat die Eigenbedarfskündigung nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen, obwohl sie nur drei Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses ausgesprochen worden sei und der Sohn der Klägerin (Vermieterin) bei der Anmietung gegenüber den Mietern mündlich geäußert habe, ein Eigenbedarf komme nicht in Betracht, allenfalls sei ein Verkauf des Anwesens möglich. Denn der Eigenbedarf sei erst später aufgrund einer nach der Vermietung eingetretenen Änderung der beruflichen und familiären Verhältnisse des Enkels entstanden und für die Klägerin (Vermieterin) zuvor nicht absehbar gewesen.


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Auch die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten (Mieter) hatte keinen Erfolg. Der zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, die Kündigung sei unter den hier gegebenen Umständen nicht rechtsmissbräuchlich, nicht zu beanstanden ist. Die Kündigung wegen Eigenbedarfs ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages beabsichtigt oder zumindest erwägt, die Wohnung alsbald selbst zu nutzen oder sie einem Angehörigen seiner Familie oder seines Haushalts zu überlassen. Dies war nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hier nicht der Fall, weil bei Abschluss des Mietvertrages für die Klägerin (Vermieterin) noch nicht absehbar war, dass ihr Enkel seine Lebensplanung ändern würde und das vermietete Einfamilienhaus zusammen mit seiner zwischenzeitlich schwangeren Partnerin und späteren Ehefrau und dem gemeinsamen Kind würde bewohnen wollen.


BGH, Urteil vom 20. März 2013

- VIII ZR 233/12 –


* Bürgerliches Gesetzbuch

§ 573 Ordentliche Kündigung des Vermieters

(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.

(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn

1. ...

2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt ...


Mitteilung der Pressestelle des BGH Nr. 48/2013


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Langfassung der Entscheidung:

BGB §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 242 Cd

Eine Kündigung von Wohnraum wegen Eigenbedarfs für einen Familienangehörigen ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Eigenbedarf zwar nur kurze Zeit nach Abschluss des Mietvertrages entstanden ist, bei Abschluss des Mietvertrages aber noch nicht absehbar war.


Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 3. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen


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Sachverhalt (Tatbestand):

Die Klägerin (Vermieterin) nimmt die Beklagten (Mieter) auf Räumung des von ihnen gemieteten Einfamilienhauses wegen Eigenbedarfs in Anspruch.

Die Beklagten sind seit Februar 2008 Mieter des Einfamilienhauses der Klägerin (Vermieterin) in W. . Mit Schreiben vom 29. März 2011 kündigte die Klägerin (Vermieterin) das Mietverhältnis zum 30. Juli 2011 mit der Begründung, das Haus werde für ihren Enkel S. S. und dessen Ehefrau und Tochter benötigt.


Die Klägerin (Vermieterin) behauptet, bei Abschluss des Mietvertrags sei nicht absehbar gewesen, dass ihr Enkel mit seiner Familie in dem Haus würde wohnen wollen. Er habe zu dem Zeitpunkt in H. gearbeitet und es sei geplant gewesen, dass er nach S. versetzt werden würde, weshalb das Haus in W. für ihn nicht in Frage gekommen sei. Seine spätere Frau sei im April 2008 schwanger geworden. Erst nach der Geburt der gemeinsamen Tochter habe ein Umdenken über die zukünftige Lebensplanung stattgefunden und der Enkel habe sich entschieden, seine Karrierepläne zurückzustellen und mit seiner Familie in der Umgebung zu bleiben.


Die Beklagten (Mieter) haben der Kündigung widersprochen und Härtegründe unter anderem wegen nicht abgewohnter Investitionen geltend gemacht.

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten (Mieter) hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten (Mieter) ihr Klageabweisungsbegehren weiter.


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Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Voraussetzungen der Eigenbedarfskündigung seien erfüllt. Es stehe fest, dass die Klägerin (Vermieterin) die Wohnung ihrem Enkel und dessen Ehefrau und Tochter überlassen wolle. Die Kündigung sei auch nicht rechtsmissbräuchlich, obwohl sie schon rund drei Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses erfolgt sei. Zwar käme eine Treuwidrigkeit in Betracht, wenn die Klägerin (Vermieterin) bei absehbarem Eigenbedarf die Möglichkeit des Abschlusses eines befristeten Mietvertrags nach § 575 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehabt und nicht wahrgenommen hätte. Der Eigenbedarf sei jedoch bei Abschluss des Mietvertrags noch nicht absehbar gewesen. Im Gegenteil habe es der Enkel der Klägerin (Vermieterin) auf entsprechende Nachfrage stets abgelehnt, in das Haus der Klägerin (Vermieterin) zu ziehen. Erst nachdem zwei Monate nach Abschluss des Mietvertrags seine spätere Ehefrau schwanger geworden, die gemeinsame Tochter geboren worden und der Enkel seine berufliche und private Lebensplanung auf seine neu gegründete Familie umgestellt und den der beruflichen Karriere wegen geplanten Umzug nach Süddeutschland aufgegeben habe, habe sich die Eigenbedarfssituation ergeben. Auch hätten die Beklagten (Mieter) keinen Anspruch auf Verlängerung des Mietverhältnisses nach §§ 574 f. BGB ("Sozialklausel"). Sämtliche geltend gemachten Härtegründe stellten letztlich nur die mit einem Umzug unvermeidlich verbundenen Unannehmlichkeiten dar. Dies gelte auch in Anbetracht der Aufwendungen zur Ausgestaltung der Wohnung.


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II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Beklagten (Mieter) sind gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Räumung und Herausgabe des Einfamilienhauses verpflichtet. Die Eigenbedarfskündigung der Klägerin (Vermieterin) hat das Mietverhältnis beendet. Die Klägerin (Vermieterin) ist gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Kündigung berechtigt, weil nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts Eigenbedarf besteht und dessen Geltendmachung auch nicht rechtsmissbräuchlich ist. Die von den Beklagten (Mietern) vorgebrachten Härtegründe gebieten auch keine Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.


1. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Eigenbedarfskündigung der Klägerin (Vermieterin) zum 30. Juli 2011 als wirksam angesehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten (Mieter) steht der Kündigung nicht der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerin (Vermieterin) gemäß § 242 BGB entgegen. Zwar ist die Kündigung hier schon etwa drei Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses erfolgt - und dies, obgleich den Beklagten (Mietern) durch den Schwiegersohn der Klägerin (Vermieterin) vor Mietvertragsabschluss versichert worden war, ein Eigenbedarf für ein Familienmitglied komme nicht in Betracht; das einzige, was passieren könne, sei, dass das Haus verkauft werden könnte. Angesichts der Gesamtumstände begegnet die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass die Eigenbedarfskündigung der Klägerin (Vermieterin) nicht rechtsmissbräuchlich ist, jedoch keinen revisionsrechtlichen Bedenken.


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a) Wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden hat (BVerfGE 79, 292, 308 f.; BVerfG, NJW-RR 1993, 1357; Senatsurteil vom 21. Januar 2009 - VIII ZR 62/08, NJW 2009, 1139; Senatsbeschlüsse vom 13. April 2010 - VIII ZR 180/09, WuM 2010, 575 [Hinweisbeschluss], und vom 6. Juli 2010 - VIII ZR 180/09, WuM 2010, 512 [Zurückweisungsbeschluss] jeweils mwN), setzt sich ein Vermieter zu seinem eigenen Verhalten dann in Widerspruch, wenn er eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, sie alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen. Er darf dem Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, die mit jedem Umzug verbundenen Belastungen nicht zumuten, wenn er ihn über die Absicht oder zumindest die Aussicht begrenzter Mietdauer nicht aufklärt. Denn für den Mieter ist ein sich abzeichnender Eigenbedarf des Vermieters vor allem für die Entscheidung von Bedeutung, ob er eine Wohnung überhaupt anmieten und damit das Risiko eines Umzugs nach verhältnismäßig kurzer Mietzeit eingehen will (Senatsurteil vom 21. Januar 2009 - VIII ZR 62/08, aaO Rn. 17, 19; Senatsbeschluss vom 13. April 2010 - VIII ZR 180/09, aaO Rn. 2).


b) Diese Fallgestaltung liegt hier indes nicht vor. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts war es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags für keinen der Beteiligten absehbar, dass ein Eigenbedarf an dem Einfamilienhaus für den Enkel der Klägerin (Vermieterin) durch die Geburt seiner Tochter und die daraufhin geänderte Lebensplanung der Familie entstehen würde. Der Eigenbedarf ist vielmehr aufgrund einer erst nach der Vermietung eingetretenen Änderung der persönlichen Verhältnisse des Enkels der Klägerin (Vermieterin) entstanden.


Durch die Erklärung des Schwiegersohns der Klägerin (Vermieterin) anlässlich der Hausbesichtigung, ein Eigenbedarf komme nicht in Betracht, höchstens ein Hausverkauf, ist kein der Klägerin (Vermieterin) zuzurechnender besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der ihre Kündigung wegen Eigenbedarfs rechtsmissbräuchlich erscheinen ließe. Die Äußerung, die im Übrigen eine reine Wissenserklärung darstellt und der kein rechtsgeschäftlicher Erklärungsgehalt zukommt, entsprach nach den vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Tatsachen. Sie bezog sich auf den damaligen Stand, bei dem eine Änderung nicht absehbar war. Durch sie ist auch kein auf künftige Entwicklungen bezogener Vertrauenstatbestand erweckt worden, denn die persönlichen Verhältnisse eines Vermieters und seiner Familienangehörigen können sich ändern. Will ein Mieter für solche Fälle eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausschließen, bedarf es einer dahin gehenden Vereinbarung.


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2. Soweit die Revision geltend macht, das Mietverhältnis sei jedenfalls gemäß §§ 574 f. BGB ("Sozialklausel") einstweilen fortzusetzen, kann dem nicht gefolgt werden. Zu Recht stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass sämtliche beklagtenseits geltend gemachten Härtegründe letztlich nur die mit einem Umzug unvermeidlich verbundenen Unannehmlichkeiten darstellen. Dass die Beklagten (Mieter) davon absahen, im Mietvertrag einen (beiderseitigen) befristeten Kündigungsausschluss mit der Klägerin (Vermieterin) zu vereinbaren, um ihrerseits aus beruflichen Gründen in örtlicher Hinsicht flexibel zu bleiben, kann nicht zu Lasten der Klägerin (Vermieterin) gewertet werden. Insbesondere beruht die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts - entgegen der Auffassung der Revision - nicht darauf, dass das Berufungsgericht den Vortrag, angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen sei nicht zu beschaffen, übergangen hätte. Abgesehen davon, dass das erstinstanzliche Urteil, auf dessen Gründe das Berufungsurteil Bezug nimmt, diesen Vortrag ausdrücklich gewürdigt hat, bedarf nicht jedes Vorbringen der Parteien der Erwähnung in den schriftlichen Entscheidungsgründen.


Eine Härte im Sinne von § 574 BGB ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus den finanziellen Aufwendungen der Beklagten (Mietern), insbesondere für die speziell den räumlichen Gegebenheiten angepasste Einbauküche. Die Beklagten (Mieter) haben nach eigenem Vorbringen bewusst davon abgesehen, sich die Möglichkeit einer längerfristigen Nutzung des Mietobjekts durch Vereinbarung eines (beiderseitigen) befristeten Kündigungsausschlusses zu sichern, weil sie aus beruflichen Gründen örtlich flexibel bleiben wollten. Sie sind daher sehenden Auges das Risiko eingegangen, dass finanzielle Investitionen in die Wohnung sich im Falle einer nur kurzen Mietdauer nicht angemessen amortisieren werden. Die Inkaufnahme dieses Risikos muss bei der Interessenabwägung nach § 574 Abs. 1 BGB zum Nachteil der Beklagten (Mieter) ausschlagen.


BGH, Urteil vom 20. März 2013

- VIII ZR 233/12 -


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