Bundesgerichtshof Entscheidungen

Zur Darlegung eines Mietmangel im Rechtsstreit - VIII ZR 1/16 -


Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich in einem Beschluss vom 21.2.2017 mit den Anforderungen an die Darlegung eines Mietmangel im Rechtsstreit befasst.


BGB § 536 Abs. 1

Zu den Anforderungen an die Darlegung eines zur Mietminderung berechtigenden Mangels (hier: Lärmbelästigungen in einem hellhörigen Gebäude).


Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart - 4. Zivilkammer - vom 9. Dezember 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gebührenstreitwert: bis 35.000 €


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Gründe:

I. Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung der Klägerin in Stuttgart, die im vierten Obergeschoss eines im Jahr 1954 erbauten und (unstreitig) hellhörigen Mehrfamilienhauses gelegen ist. Der Beklagte beanstandet seit langem fortwährend bestehende unzumutbare Lärmbelästigungen (unzumutbar laute Klopfgeräusche, festes Getrampel, Möbelrücken usw.), denen er in seiner Wohnung ausgesetzt sei und die nach seiner Auffassung aus der über ihm liegenden Wohnung der Mieterin B. herrührten. Er kürzte die Miete deswegen zunächst um monatlich 40,90 € und später um 81,80 € monatlich, so dass zunächst ein Rückstand von 861,98 € auflief, den die Klägerin zum Anlass nahm, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen. Der Beklagte hat den einbehaltenen Betrag innerhalb der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) unter Vorbehalt nachgezahlt.


Die auf Räumung, Zahlung rückständiger Miete und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung bis zum Auszug gerichtete Klage hat vor dem Amtsgericht - mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderung - Erfolg gehabt, während die auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und auf Auskehrung eines von der Klägerin mit angeblichen Mietrückständen verrechneten Guthabens (Nebenkosten, Dividendengutschrift) gerichtete Widerklage des Beklagten abgewiesen worden ist. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat lediglich bezüglich des Zahlungsantrags und hinsichtlich der Räumungsklage insoweit Erfolg gehabt, als das Berufungsgericht die Beendigung des Mietverhältnisses nur aufgrund ordentlicher Kündigung bejaht und dem Beklagten eine Räumungsfrist bewilligt hat.


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II. Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).


1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung der Klägerin sei ungeachtet des zwischenzeitlich innerhalb der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) erfolgten Zahlungsausgleichs als ordentliche Kündigung wirksam, weil der Beklagte die Miete unberechtigt gekürzt habe. Das Amtsgericht habe die Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen widerspruchsfrei dahin gewürdigt, dass der vom Beklagten beanstandete Lärm nicht durch ein über das zulässige Maß hinausgehendes Wohnverhalten der Mieterin B. verursacht worden sei. Zwar hätten mehrere Zeugen den vom Beklagten geschilderten Lärm im Haus bestätigt, doch lasse dies einen Schluss auf einen Mangel der Mietsache nicht zu. Der Beklagte lasse außer Betracht, dass nicht jeder Lärm in einem - wie hier - unstreitig hellhörigen Haus einen Mietmangel begründe. Zudem habe der Beklagte sein Minderungsrecht nicht darauf gestützt, dass der nach dem Baujahr des Hauses geschuldete Schallschutz nicht eingehalten sei, sondern darauf, dass die Klägerin nichts gegen die Lärmbelästigung durch Mitbewohner, insbesondere die Mieterin B. , unternommen habe.


Es sei auch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht von der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens abgesehen habe. Dieses Beweismittel sei ungeeignet, weil ein Sachverständiger keine objektiven Feststellungen zu den in der Vergangenheit liegenden Lärmbeeinträchtigungen treffen könne.


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2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, weil es bei der Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils die rechtsfehlerhaft verengte Sichtweise des Amtsgerichts hat fortbestehen lassen, das nur eine von mehreren denkbaren Mangelursachen (Lärm aus der Wohnung der Mieterin B. infolge unangemessenen Wohnverhaltens dieser Mieterin) in den Blick genommen hat, ohne den vom Beklagten gerügten Mangel - unzumutbarer, in seiner Wohnung wahrnehmbarer Lärm - insgesamt zu würdigen und das vom Beklagten beantragte Sachverständigengutachten einzuholen.


a) Bei der Beurteilung des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils hat das Berufungsgericht nur geprüft, ob die Würdigung des Amtsgerichts, der vom Beklagten beanstandete Lärm sei nicht durch ein unangemessenes Wohnverhalten der Zeugin B. verursacht worden, Anlass zu Zweifeln gibt. Es liegt aber auf der Hand, dass es einem Mieter, der - wie der Beklagte - die Miete wegen Lärms mindert, nicht in erster Linie um die Ursache des Lärms, sondern um die für ihn nachteiligen Auswirkungen bei der Nutzung seiner Wohnung geht. Denn die Minderung der Miete hängt nicht davon ab, ob ein für den Mieter nicht mehr hinnehmbarer Lärm durch Baumängel, durch unangemessenes Wohnverhalten des einen oder anderen Mitbewohners oder durch ein Zusammenwirken mehrerer Ursachen ausgelöst wird. Hinzu kommt, dass der Beklagte, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend rügt, in der Berufungsinstanz ausdrücklich klargestellt hat, dass der in seiner Wohnung wahrnehmbare und von den im Gebäude wohnenden Zeugen bestätigte unzumutbare Lärm und nicht dessen Ursache maßgeblich sei.


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Da das Amtsgericht die Angaben der vernommenen Zeugen nur dahin gewürdigt hat, dass der vom Beklagten beanstandete Lärm jedenfalls nicht von der Zeugin B. verursacht sein könne, es aber offen gelassen hat, ob es den insbesondere von der Zeugin D. geschilderten Lärm tatsächlich gab, bestanden - offensichtlich - erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen. Das Berufungsgericht hätte daher unter Ausschöpfung der insoweit unerledigt gebliebenen Beweisangebote neue Feststellungen treffen und insbesondere die Zeugen nochmals selbst vernehmen müssen. Stattdessen ist es der vom Amtsgericht offengelassenen Frage, ob der vom Beklagten behauptete Lärm überhaupt vorhanden war, nicht weiter nachgegangen, obgleich es die verengte Sichtweise des Amtsgerichts ersichtlich als nicht tragfähig erkannt hat. Vor allem hat es nicht zu begründen vermocht, warum der angetretene Zeugenbeweis ein zum Beweis der behaupteten Lärmbelästigung schlechthin untaugliches und deshalb unbeachtliches Beweismittel sein sollte.


b) Ferner hat das Berufungsgericht auch durch die Nichteinholung des beantragten Sachverständigengutachtens das rechtliche Gehör des Beklagten verletzt. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (st. Rspr.; siehe etwa BVerfG, WM 2009, 671, 672; BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10; vom 16. November 2010 - VIII ZR 228/08, juris Rn. 14; vom 6. Februar 2013 - I ZR 22/12, TranspR 2013, 430 Rn. 10). Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 - I ZR 22/12, aaO). Eine solche nur scheinbar das Parteivorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatrichters dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den Parteivortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen (BGH, Urteil vom 22. Juni 2009 - II ZR 143/08, NJW 2009, 2598 Rn. 2 mwN; Beschluss vom 6. Februar 2013 - I ZR 22/12, aaO).


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aa) Da die Minderung nach § 536 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes eintritt, genügt der Mieter seiner Darlegungslast schon mit der Darlegung eines konkreten Sachmangels, der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch beeinträchtigt; das Maß der Gebrauchsbeeinträchtigung (oder einen bestimmten Minderungsbetrag) braucht er hingegen nicht vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1991 - XII ZR 47/90, NJW-RR 1991, 779 unter 2 c; Beschluss vom 11. Juni 1997 - XII ZR 254/95, WuM 1997, 488 unter b mwN; jeweils zu § 537 BGB aF). Von ihm ist auch nicht zu fordern, dass er über eine hinreichend genaue Beschreibung der Mangelerscheinungen ("Mangel- symptome") hinaus die ihm häufig nicht bekannte Ursache dieser Symptome bezeichnet (Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, NJW 2012, 382 Rn. 16 mwN). Vielmehr obliegt es dem Gericht schon dann, wenn der Mieter einen Mietmangel durch Beschreibung der Mangelsymptome darlegt, die für das Vorliegen des Mangels angebotenen Beweise zu erheben und - im Falle eines beantragten Sachverständigengutachtens - dem Sachverständigen die beweiserheblichen Fragen zu unterbreiten.


bb) So liegen die Dinge hier. Der Beklagte hat die Lärmbelastung, der er sich in seiner Wohnung ausgesetzt sieht, ausreichend beschrieben und überdies durch detaillierte "Lärmprotokolle" konkretisiert, derer es nach der Rechtsprechung des Senats bei ausreichender Beschreibung wiederkehrender Lärmbeeinträchtigungen nicht einmal bedarf (vgl. Senatsurteil vom 20. Juni 2012 - VIII ZR 268/11, NZM 2012, 760 Rn. 18). Zur Ursache des beanstandeten Lärms musste der Beklagte nichts weiter vortragen, zumal es ihm als Laien weder möglich ist, die Lärmquelle einer bestimmten anderen Wohnung zuzuordnen, noch darzulegen, ob der als unzumutbar empfundene Lärm auf einem unangemessenen (nicht mehr sozialadäquaten) Wohnverhalten anderer Bewohner des Hauses, auf einem mangelhaften Schallschutz (Nichteinhaltung der zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltenden Schallschutzvorschriften) oder auf einer Kombination beider Ursachen beruht. Wenn die Partei - wie hier der Beklagte - gleichwohl eine aus ihrer Sicht bestehende Lärmursache benennt, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, sie wolle Mängelrechte nur für den Fall geltend machen, dass ausschließlich diese Ursache und nicht eine andere zutrifft.


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Der Beklagte hatte mit der Berufung gerügt, das Amtsgericht habe es versäumt, das bereits in erster Instanz wiederholt beantragte Sachverständigengutachten einzuholen. Das Berufungsgericht hat zur Begründung für die auch in der Berufungsinstanz unterbliebene Einholung des beantragten Gutachtens - insoweit kam die Beauftragung eines Sachverständigen für Gebäude und Schallschutz in Betracht - ausgeführt, es handele sich um ein ungeeignetes Beweismittel, weil der Sachverständige in der Vergangenheit liegende Lärmbelästigungen schon objektiv nicht feststellen könne und es im vorliegenden Rechtsstreit ohnehin nicht um den Schallschutz des Gebäudes gehe. Diese Beurteilung läuft auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus.


Zum einen hat das Berufungsgericht insoweit den Vortrag des Beklagten übergangen, es handele sich um nahezu tägliche Lärmbelästigungen, also auch solche, die ersichtlich bis in die Gegenwart reichen und deshalb durchaus sachverständiger Beurteilung zugänglich sein können. Zum anderen ging das Rechtsschutzbegehren des Beklagten ersichtlich dahin, den in seiner Wohnung wahrnehmbaren und von ihm als unzumutbar eingeschätzten Lärm feststellen zu lassen, wozu ohne weiteres auch eine (Mit-)Verursachung durch einen unzureichenden baulichen Schallschutz gehört (etwa: Nichteinhaltung des bei Gebäudeerrichtung maßgeblichen Schallschutzes, Vorhandensein von "Schallbrücken").


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Dass der Beklagte nicht ausdrücklich geltend gemacht hat, die Ursache des Lärms könne auch in der Nichteinhaltung der zur Errichtung des Gebäudes geltenden Schallschutzvorschriften liegen, ist unschädlich. Zwar kann ein Mieter nach der Rechtsprechung des Senats mangels konkreter anderweitiger Vereinbarungen in seiner Wohnung nur einen Schallschutz erwarten, der dem zur Zeit der Errichtung des Gebäude geltenden Standard entspricht (Senatsurteile vom 6. Oktober 2004 - VIII ZR 355/03, NJW 2005, 218 unter II.1; vom 17. Juni 2009 - VIII ZR 131/08, NJW 2009, 2441 Rn. 10; vom 23. September 2009 - VIII ZR 300/08, WuM 2009, 659 Rn. 11; vom 5. Juni 2013 - VIII ZR 287/12, NJW 2013, 2417 Rn. 15 mwN). Das enthebt den Tatrichter aber - selbstverständlich - nicht von der Notwendigkeit der Einholung eines beantragten Sachverständigengutachtens, mit dessen Hilfe genau diese Prüfung erst vorgenommen werden kann. Zudem liegt nach den Angaben, die die als Zeugen vernommenen Bewohner des Gebäudes zur Intensität der in den Wohnungen wahrnehmbaren Geräusche aus anderen Wohnungen, aus dem Treppenhaus und sogar aus dem Nachbarhaus gemacht haben, die Möglichkeit nicht fern, dass selbst der vergleichsweise niedrige Schallschutzstandard im Zeitpunkt der Errichtung des aus der Nachkriegszeit stammenden Gebäudes nicht eingehalten ist. Sollte dies der Fall sein, ist es nicht auszuschließen, dass auch sozialadäquates Wohnverhalten von Mitbewohnern, etwa wegen bestehender Schallbrücken, zu einer schlechthin unzumutbaren und deshalb als Mietmangel einzustufenden Lärmbelastung in der Wohnung des Beklagten geführt und ihn auch zur Minderung der Miete berechtigt hat.


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4. Das Berufungsurteil beruht auf den beschriebenen Verfahrensfehlern. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, soweit es zum Nachteil des Beklagten entschieden hat, bei vollständiger Würdigung der gerügten Lärmbeeinträchtigungen nach ergänzender Vernehmung der benannten Zeugen und/oder Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.


BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017

- VIII ZR 1/16 -


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